Es scheint in diesen Tagen gänzlich vergessen zu sein, was die griechischen Schwesterparteien von CDU und SPD in den letzten Jahrzehnten alles angestellt haben, um Griechenland so dermaßen in den Schlamassel zu reiten. Herr Tsipras und Herr Varoufakis waren daran zwar nicht beteiligt, sind aber nach einem halben Jahr im Amt plötzlich die Hauptschuldigen für die griechische Misere. Das ist eine reife kommunikative Leistung der deutschen Medien. Respekt.
Wer bisher dachte, gleichlautende Berichterstattung in 90 % aller Beiträge gäbe es nur in Diktaturen, hat sich geirrt. Wer bisher dachte , die Freiheit der Medien diene der Kontrolle der Mächtigen und nicht ihrer Ermächtigung, hat sich ebenfalls geirrt. Aber das ist nichts im Vergleich zu der Lektion, die ganz Europa gerade bekommt: Die europäische Integration ist demnach kein Wert mit übergeordneter politischer Bedeutung. Integriert werden sollen vorrangig die Märkte, Barrieren der Kapitalverwertung werden geschliffen, was ihr historisch, sozial und kulturell im Wege steht, wird eingeebnet.

Integration gibt es nur dort und nur solange, wie sie sich in die Strategien der großen Kapitalfraktionen einfügt.
Besonders Schlaue mögen das als altbekannt müde belächeln. Vielen anderen aber wird gerade eine wirkmächtige positive Vision eines geeinten Europa zerstoben, die sich aus freiheitlichen und aufklärerischen Traditionen speiste und der Idee folgte, daß ökonomisch bedingte Kriegsursachen durch die Integration der Volkswirtschaften ein für allemal beseitigt werden könnten. Nun lernen wir, daß dies eine Illusion gewesen sein mag. Gemeint war nicht Integration, sondern Assimilation.

Wen das an eine science fiction-Serie erinnert: – Wir sind die Borg. Sie werden assimiliert werden. Deaktivieren Sie Ihre Schutzschilde und ergeben Sie sich. Wir werden ihre biologischen und technologischen Charakteristika den unsrigen hinzufügen. Ihre Kultur wird sich anpassen und uns dienen. Widerstand ist zwecklos!- der erinnert sich richtig.-
Nur ist die Realität keine Leinwandprojektion. Griechenland leidet seit Jahren. Die neoliberale Operation ist nicht gelungen. Der Patient ist trotzdem fast tot.
Hat Syriza den Mund zu voll genommen ? War die Kampfansage an die Troika eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wurde ? Gab es jemals eine berechtigte Hoffnung darauf, dass die linke Regierung einer überschuldeten Volkswirtschaft in Verhandlungen mit neoliberalen Regierungen, von deren Wohlwollen sie vollkommen abhängig ist, ihre Positionen durchsetzen könnte ?

Ja, es gab diese Hoffnung und sie war auch berechtigt. Denn Syriza wollte lediglich eine keynesianische Wende der Krisenbearbeitung. Umschuldung, Schuldenstreckung, Schuldenschnitt und Investitionen, um aus der Rezessionsspirale herauszukommen. Es sollte Wachstum und Nachfrage generiert werden, damit irgendwann einmal auch die verbliebenen Schulden abgetragen werden können. Das alles sollte geschehen, ohne dafür eine ganze Gesellschaft nahezu komplett zu verarmen. Nichts daran ist revolutionär. Nichts daran ist besonders forsch.
Waren die Syrizamänner zu forsch im Auftreten, fehlten vielleicht besonnene und kluge Frauen in der Führungsriege der Syriza ? War der Verhandlungsprozess zu testosterongesteuert ? Wenn Männer mit reichlich Sexappeal, wie er Tsipras und Varoufakis oft zugeschrieben wird, blässlichen und verwelkten Buchhaltertypen gegenübertreten, kann dies durchaus provokativ wirken und einer kompromissbereiten Haltung schaden. Der nicht zu gewinnende Schwanzlängenvergleich wird dann vielleicht mit dem Scheckheft pariert. Aber solche Banalitäten will man sich eigentlich nicht als relevante Größe in einem Verhandlungsprozess von solcher Tragweite vorstellen müssen.
Vielmehr möchte man sich vorstellen, es ginge um das beste makroökonomische Konzept zur Bewältigung der Krise, da säßen Fachleute am Tisch, die wissen, dass sie nur gewinnen können, wenn keiner verliert. Man möchte sich vorstellen, diese Leute verhalten sich politisch professionell und handelten zuerst als Europäer*innen. Man möchte sich vorstellen, dass das übliche mediale Geklingel, das öffentliche Aufplustern und Empören nur Teil einer Verhandlungsstrategie sind und hinter verschlossenen Türen keine Rolle mehr spielt. Allein, der tatsächliche Verlauf der Verhandlungen ist allem Anschein nach von Anfang an ein hartes und unversöhnliches Ringen gewesen. Noch selten sind sich Partnerländer öffentlich so hart angegangen, ist so tief in die Kiste der Beleidigungen und Herabsetzungen gegriffen worden wie hier. Die demokratische Wahl der Griechen im Januar, die die Troikapolitik eindeutig abgewählt hat und einen anderen Auftrag erteilte, ist nie akzeptiert, nie als fundamentale Veränderung der Gesamtlage von den anderen Euroländern begriffen worden.
Einmal mehr wird das neue Paradigma der marktkonformen Demokratie durchgesetzt. In dieser Welt sind demokratische Entscheidungen, die sich gegen faktische ökonomische Machtkonstellationen richten, illegitim und erfordern das Einsetzen der ökonomischen Macht zur Disziplinierung des Souveräns, notfalls unter Einsatz eines Fiskalkrieges, der Griechenland aus dem Euroraum zwingt.


Eine EU aber, die nicht mehr verbindet, sondern spaltet, verspielt ihre Zukunft, auch ökonomisch.